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StabiCheck: Die singuläre Frau von Katja Kullmann

Mai 26 2022

Katja Kullmann ermächtigt die singuläre Frau.

Medium: Buch

Genre: Sozialwissenschaften

Altersempfehlung: Erwachsene

Umfang: 333 Seiten

Standort: Gcq 1 Kul

Das Medium im Katalog: Verfügbarkeit prüfen

Inhalt:

Katja Kullmann, Jahrgang 1970, hat einen langen Essay über ein Wesen geschrieben, das im frühen 20. Jahrhundert ins Bewusstsein rutschte und seitdem schon mit vielen Namen, manchmal despektierlich, manchmal neutral, selten positiv besetzt, belegt wurde: Alte Jungfer, Flapper, Neue Frau, Alleinstehende, Single. Sie nennt sie Singuläre Frau. Sie selbst war 18 Jahre lang, das erste Drittel ihres Erwachsenenlebens, seriell monogam, erschrickt jedoch, als sie eines Tages feststellt, dass sie seit 14 Jahren keine feste Beziehung mehr hatte. Und erkennt, dass sie sich in diesem Zustand so gut eingelebt hat, dass sie sich gar nicht nach einer weiteren, längeren Beziehung sehnt oder gezielt nach einer sucht. Hin und wieder erhält sie Offerten und erlebt kurze Geschichten, ist jedoch wählerischer und anspruchsvoller geworden, sodass immer sie es war, die diese Affären wieder beendete. Role Models für ihre Lebensweise findet sie in einer Lehrerin, ihrer Oma (Kriegswitwe), Sängerinnen und Schauspielerinnen. Da sie sich längst als (Dauer-)Single geoutet hat und hervorragend alleine ihren Mann steht, erkennt sie Parallelen zur LGBTQIA+-Bewegung. Auch, was Stereotypisierung und Diskriminierung betrifft: Auf der einen Seite sind da finanzielle Nachteile (Ehegattensplitting, Einzelzimmerzuschlag), auf der anderen Seite und viel belastender sind die Erwartungen der Gesellschaft, die es weiterhin als erstrebenswert erachten, dass man sich in einer verbindlichen (Hetero-)Beziehung befindet bzw. eine Ehe schließt und Kinder bekommt (Amatonormativität). Sollte man es als Singlismus bezeichnen, obwohl die Quote alleinlebender Frauen ständig steigt? Kullmann macht deutlich, dass es wichtig ist, zwischen belastender Einsamkeit und selbstgewähltem Alleinsein zu unterscheiden. Sie ist aufgeschlossen, viel unterwegs und erlebt immer wieder Zufallszwischenmenschlichkeit, die sie zugewandter macht und sozial stabiler verankert als manch liierte Person, die sich in einer Beziehung hauptsächlich auf ihre*n Partner*in bezieht und dadurch erst recht einsam fühlen kann. Sie arbeitet heraus, dass es für beide Seiten Vor- und Nachteile hat, ob man sich in einer Beziehung befindet oder nicht. Die 300 Seiten geben viele anschauliche Beispiele dafür, dass alleinstehende Frauen nicht allein sind, sondern einer großen sozialen Gruppe angehören, dass sie keine Opfer sind, sondern sich in den meisten Fällen gut in ihr selbstbestimmtes, freies Leben einfinden. Belastend bleiben jedoch Fragen wie „Warum ist eine so tolle Frau wie Du denn Single?“, die von ihr als Monsterfrage bezeichnet wird. Noch immer gehen damit Schamgefühle einher und wird damit Versagen assoziiert – es handelt sich hier durchaus um Single Shaming.


Mein Fazit:

Kullmanns Buch liest sich, auch durch die vielen kursiv gesetzten Schlagworte und persönlichen Anekdoten, wunderbar. Es ist ein Augenöffner für den eigenen Umgang mit Single-Phasen (wie lang auch immer sie sein mögen) und den Kontakt mit singulären Frauen. Der Text ist ein gewaltiges Empowerment und regt dazu an, den eigenen Selbstwert nicht am Vorhandensein einer Beziehung zu messen und sich bei übergriffigen Fragen nicht mit Notlügen wie „It’s complicated“ herauszureden, sondern sich einfach als frei zu bezeichnen. Eine selbstbewusste Antwort auf die Frage „Warum bist Du nicht verheiratet?“ könnte in der Tat „Warum bist Du nicht tot?“ sein. Wer sich ausführlicher mit diesem existentiellen Thema beschäftigen möchte findet das Buch, sobald die Bibliothek wieder geöffnet ist, unter der Signatur Gcq 1 Kul.

Veranstaltungs- und Hörtipp

Katja Kullmann liest am Mittwoch, dem 1. Juni 2022 im Literaturhaus Göttingen. Zur Einstimmung auf einen sicherlich sehr interessanten Abend ist der Podcast "Allein – Reiz und Risiko einer Lebensform", in dem sie sich mit Daniel Schreiber, dessen Essay „Allein“ ich hier besprochen habe, austauscht, empfehlenswert.



 

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